Hiscox Artist Top 100 2024: Generationenwechsel auf dem zeitgenössischen Kunstmarkt

Yayoi Kusama führt die Rangliste für die meistverkaufte zeitgenössische Kunst 2023 an / Vier von zehn der 2023 verkauften Lose gehen auf Werke von Kunstschaffenden unter 45 Jahren zurück / "Flipping" geht weiter, ist aber weniger lukrativ / Immer mehr Künstlerinnen sind auf dem Auktionsmarkt vertreten

München (11. April 2024) – Der kunstaffine Spezialversicherer Hiscox veröffentlicht im Rahmen der jüngsten Hiscox Artist Top (HAT) 100 erneut eine Rangliste der meistgefragten Künstlerinnen und Künstler des vergangenen Jahres im Bereich zeitgenössische Kunst. Der Bericht beleuchtet die wichtigsten Trends auf dem Markt für moderne Kunst, die ihren Ursprung nach dem Jahr 2000 hat. Die Japanerin Yayoi Kusama sorgte dabei für die meistverkauften zeitgenössischen Kunstwerke des Jahres 2023: Ihre Arbeiten erzielten im vergangenen Jahr ein kombiniertes Volumen von 80,9 Millionen US-Dollar auf dem internationalen Auktionsmarkt, womit sie David Hockney (50,3 Millionen US-Dollar) vom ersten Platz der HAT 100 verdrängte.

Im Gegensatz zu den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleibt der Markt für zeitgenössische Kunst resilient. Obwohl Auktionsverkäufe über alle Epochen hinweg im Vergleich zum Vorjahr (2022) um 17 % zurückgingen, fiel die Verkaufsbilanz für vor 2000 erstellte Kunst noch geringer aus (Abnahme um 22 %). Das zeichnet ein insgesamt gemischtes Bild für den zeitgenössischen Kunstmarkt: Der Nachfragerückgang bei hochpreisigen Kunstwerken konnte durch eine Zunahme an Verkäufen in niedrigeren Preisklassen und einem Anstieg an angebotenen Objekten von jungen Künstlerinnen und Künstlern unter 45 Jahren abgefedert werden. Deren Werke machten knapp die Hälfte (44 %) der verkauften Lose in der Preiskategorie unter 50 Tausend US-Dollar aus.

Jüngere Generationen bringen den Kunstmarkt in Bewegung

Nicht nur angebotsseitig deuten die Entwicklungen auf einen Generationenwechsel auf dem Auktionsmarkt für moderne Kunst hin, denn auch die Käuferinnen und Käufer werden immer jünger. Das generationenspezifische Kaufverhalten spiegelt sich unter anderem in einer steigenden Nachfrage nach preiswerter Kunst wider. Diese Entwicklung steht im Einklang mit der wirtschaftlichen Entwicklung, die aktuell von Inflation und höheren Zinssätzen geprägt ist. 

Alina Sucker mit rotem Lippenstift und schwarzer Blazer bei der Arbeit für Hiscox.
„Die wachsende Popularität der jüngeren Generation verkörpert den Zeitgeist, denn der Markt bietet immer mehr Möglichkeiten, die eigene Kunst sichtbar und relevant zu machen – von zunehmender Onlinepräsenz und einfacheren Möglichkeiten zur Selbstvermarktung bis hin zu ‚instagrammable art‘. Gleichzeitig wird weniger hochpreisige Kunst verkauft. Jüngere und vor allem digital affinere Käuferinnen und Käufer suchen nach dem ‚next big thing‘, nach dem, was jetzt noch unbekannt, günstig und risikoarm ist, aber das Potenzial birgt, später ganz groß und damit auch profitabel zu werden. Als Spezialversicherer beobachten wir diese Entwicklungen immer genau und bleiben nah an unseren Zielgruppen. Dabei behalten wir im Kunstbereich insbesondere die jüngeren Kundengruppen im Blick, denn sie werden die Käuferinnen und Käufer von morgen sein. Anders als andere haben wir damit ganz bewusst nicht nur die klassischen älteren Kunstkäufer im Blick.“
Alina Sucker-KastlUnderwriting Manager Art & Private Clients bei Hiscox Deutschland

Auch 2023 blieb der Markt für junge Kunstschaffende lebhaft: Fast vier von zehn (39 %) der verkauften Objekte gingen nun auf Künstlerinnen und Künstler unter 45 Jahren zurück. Gleichzeitig entfielen wertmäßig nur 21 % der Verkäufe auf dieses Segment und auch der Marktwert hat 2023 hier erheblich abgenommen. Der Gesamtwert der Verkäufe von Kunstschaffenden unter 45 Jahren sank 2023 um 43 % im Vergleich zum Vorjahr.

Art Flipping: Mehr Risiken, weniger Gewinne

Im Bereich „Wet-Paint“, d.h. Kunstwerke, die innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Entstehung versteigert werden, sorgten die Nachwuchsgenerationen 2023 für die meisten verkauften Lose (72 %) und machen in dieser Kategorie 20 % des Gesamtverkaufswerts aus. Diese Entwicklung ist gerade in Verbindung mit „Art Flipping“ – dem spekulativen Erwerb von Kunst, um diese schnell und gewinnbringend weiterzuverkaufen – relevant, denn die Gesamtanzahl der verkauften Wet-Paint-Objekte verzeichnete in den letzten fünf Jahren einen deutlichen Anstieg (von 397 in 2019 auf 1.110 in 2023). „Der anhaltende Trend zum Art Flipping und die Zunahme an Wet-Paint-Verkäufen zeigen, dass immer mehr Kunst gekauft wird, um einen kurzfristigen Gewinn zu erzielen oder auf aufstrebende Künstlerinnen und Künstler zu spekulieren. Zudem zeichnet sich ab, dass Auktionshäuser vermehrt als Verkaufsplattformen gesehen und damit auch für jüngere Kunstinteressierte zugänglicher werden“, so Sucker-Kastl. 

Diese Art der Investition ist jedoch zunehmend mit finanziellen Risiken und schwindenden Gewinnen verbunden: Trotz des Anstiegs der Gesamtanzahl verkaufter Wet-Paint-Lose, rentierte sich ihr Verkauf im Jahr 2023 weniger (Rückgang um 36 % auf 69 Millionen US-Dollar), vor allem für Arbeiten junger Kunstschaffender. Im Vergleich zum Vorjahr wurden weniger als die Hälfte (45 %) der Werke der jungen Generation zu Preisen über dem mittleren Schätzwert verkauft (2022, 65 %). Das Risiko, überhaupt nichts zu verkaufen, ist derweil sprunghaft angestiegen: Die Quote unverkaufter Lose lag 2023 bei 17 %, somit um 11 Prozentpunkte höher als im Jahr zuvor. 

robert read hiscox
„Die HAT 100 verdeutlichen einmal mehr, wie schnelllebig Kunsttrends sind. Das Flipping geht weiter, ist aber weniger lukrativ, und seit unserem letzten Bericht wurde der Markt insgesamt schwächer. Das ist besonders für junge Künstlerinnen und Künstler herausfordernd, die einen erheblichen Preisverfall für ihre Werke hinnehmen mussten.“
Robert ReadHead of Art & Private Clients bei Hiscox

Künstlerinnen übertreffen die Erwartungen

Die Kunst von weiblichen Kunstschaffenden setzt sich auf dem Auktionsmarkt weiter durch und entwickelt sich resilienter im Vergleich zu Arbeiten von männlichen Künstlern. Mit Blick auf die neue HAT 100-Spitze Yayoi Kusama, folgert Robert Read: „Obwohl sie bereits 95 Jahre alt ist, bleibt die japanische Pionierin eine der einflussreichsten Künstlerinnen für Contemporary Art. Ihr Werk und Leben sind weltweit nach wie vor sehr beliebt und sorgen für außergewöhnliche Ausstellungen. Doch je tiefer wir ins HAT 100-Ranking sehen, desto weniger Frauen sind vertreten.“ Die Betrachtung des Fünfjahreszeitraums zeigt, wie stark die Anzahl der auf dem Auktionsmarkt vertretenen Künstlerinnen angestiegen ist: Während im Jahr 2019 nur 261 Künstlerinnen vertreten waren, hat sich ihre Präsenz 2023 fast verdreifacht (728, Zuwachs um 179 %). Außerdem entfiel knapp ein Drittel (32 %) des Gesamtverkaufswerts für moderne Kunst auf die Arbeiten von Künstlerinnen. Auch die Anzahl der verkauften Objekte von Künstlerinnen konnte 2023 einen Zuwachs von 21 % verzeichnen. 

Wertmäßig spiegelte sich der Wachstumstrend jedoch nicht wider, denn der Gesamtverkaufswert für von Frauen erstellte, zeitgenössische Kunst sank 2023 um 8 %. Dennoch hat dieses Segment eine weitaus stabilere Entwicklung vorzuweisen als der Auktionsmarkt für Kunst von männlichen Kunstschaffenden, dessen Gesamtverkaufswert 2023 um 20 % abnahm. „Künstlerinnen waren auf dem Markt für zeitgenössische Kunst schon immer unterbewertet und unterrepräsentiert. In den letzten Jahren wurden bedeutende Fortschritte erzielt, da er allmählich beginnt, die Bedeutung und den Wert ihrer Arbeit anzuerkennen. Von einer Gleichstellung sind wir jedoch noch weit entfernt“, merkt Read an. Das Interesse an Künstlerinnen dürfte derweil anhalten, wie der Ausstellungskalender 2024 vieler renommierter Galerien und Museen zeigt. 

 

Weitere Highlights der HAT 100 

  • Yayoi Kusama erzielte mit ihren nach 2000 entstandenen Werken einen Auktionserlös von insgesamt 80,9 Millionen US-Dollar. Dahinter folgen David Hockney (50,3 Millionen US-Dollar), Yoshitomo Nara (36,0 Millionen US-Dollar) und Cecily Brown (31,7 Millionen US-Dollar), die sich gegenüber 2022 um sieben Plätze verbesserte.
  • Die überwiegende Mehrheit (80 %) der Kusama-Werke wurde in Hongkong versteigert, ein Zeichen für das Nachfragewachstum in Asien und die zunehmende Relevanz des Standorts für den asiatischen Markt.
  • Die in den USA lebende Äthiopierin Julie Mehretu brach den Rekord für den höchsten bei einer Auktion erzielten Verkaufspreis eines Werks einer in Afrika geborenen Künstlerin. Ihr Gemälde „Walkers With The Dawn and Morning“ brachte im November 2023 bei Sotheby's in New York 10,7 Millionen US-Dollar ein.
  • Seit 2019 hat sich die Zahl der Kunstschaffenden, deren zeitgenössische Kunstwerke auf Auktionen verkauft werden, fast verdoppelt (+91 %). Insgesamt waren 2023 2.330 Kunstschaffende mit ihren Werken bei Christie's, Sotheby's und Phillips vertreten, 22 % mehr als im Vorjahr (2022, 1.911 Kunstschaffende).
  • Obwohl die Zahl der bei Auktionen vertretenen Künstlerinnen im Jahr 2023 stark anstieg, schafften es weniger Frauen in die HAT 100 (30 im Vergleich zu 33 im Jahr 2022). 
  • Da die Investitionen in junge Kunstschaffende unter 45 Jahren im Jahr 2023 zurückgingen, schafften es weniger in die HAT 100 (27 im Vergleich zu 36 im Jahr 2022). 
  • Mehr als ein Drittel (34 %) der zum Verkauf angebotenen Lose junger HAT 100-Kunstschaffender unter 45 Jahren waren „Wet Paint“-Objekte.

Bei fast einem Viertel der zum Verkauf angebotenen Lose der HAT 100-Kunstschaffenden (24 %) handelte es sich um „Wet Paint-Objekte“. Auch 2023 blieb der Markt für junge Kunstschaffende lebhaft: Fast vier von zehn (39 %) der verkauften Objekte gingen nun auf Künstlerinnen und Künstler unter 45 Jahren zurück. Gleichzeitig entfielen wertmäßig nur 21 % der Verkäufe auf dieses Segment und auch der Marktwert hat 2023 hier erheblich abgenommen. Der Gesamtwert der Verkäufe von Kunstschaffenden unter 45 Jahren sank 2023 um 43 % im Vergleich zum Vorjahr.

 

Über den Hiscox Artist Top 100

Die in Kooperation mit dem britischen Kunstmarktforschungs- und Analyseunternehmen ArtTactic entstandene Untersuchung basiert auf einzigartigen Kunstwerken (Editionen nicht eingeschlossen), die nach dem Jahr 2000 entstanden sind und in einem Fünfjahreszeitraum zwischen 2019 und 2023 bei Christie's, Sotheby's und Phillips versteigert wurden. Die Untersuchung umfasst mehr als 19.000 Kunstwerke von mehr als 5.400 Künstlerinnen und Künstlern. Eine vollständige Version der HAT 100 (auf Englisch) steht hier zum Download zur Verfügung.